Fahrplaner
Copyshop-Welt,
denkt er, das ist das, wenn er des Morgens für die städtischen
Verkehrsbetriebe dreizehn Haltewünsche erfüllt. Im Grunde stehen
da Schaufensterpuppen, nein eher ausrangierte Puppen, billige
Raubkopien im Vergleich zu den Kunstfiguren, die hinter den
Einkaufs- passagenfenstern posieren und nie müde sind, ihr Spiegelbild
im Glas zu sehen, die hier sind alles Zweite-Hand-Puppen, mit
Narben, schiefen Nasen, Dreitagebärten und ALDI-Tüten, gestaltet
von einem Dekorateur, der sich latenter Alkoholismus oder Schichtarbeit
nennt, und wenn ich den Knopf drücke, schieben sie sich hinein
und jeder haßt sich, weil er nicht Taxi fahren, oder einen Bughatti
oder mit einem Privathubschrauber herumfliegen kann, nur Bus.
Ich bin sowas wie ein Leichensammler oder Schrotthändler, der
verbrauchte Körpermaschinen mit Funktionsstörungen mitnimmt,
weil's sonst keiner tut, und ich bin Gott und Mengele, weil
ich sagen kann Ja und Amen oder Nein und Ohne Geld geht das
nicht und Einen großen Schein kann ich nicht wechseln und Weitergehen,
nach hinten, da wo sich die Leute ihre Schuhe eintreten und
die Luft anhalten müssen, weil die alte Frau nach Tod und der
Penner daneben nach Hundescheiße stinkt, einen Wesensgeruch
gibt es immer, den stempelt denen wer auf, denkt er und überlegt,
wer das sein könnte. Und wenn das so ist, oder vielleicht weil
das so ist, wollen und können sie sich nicht mehr riechen und
keinen anderen, es könnte ja sein, dass sich eine erneute Welt
auf- oder zutut, die man betreten will, aber die Tore schieben
sich mit Pelzmänteln verhängt zu, ein paar pressen sich doch
durch und streifen ihre alte Persönlichkeit ab wie eine sich
häutende Schlange, die wartet und züngelt, gierig mit ihren
Bernsteinaugen, die, wenn man sie anstrahlt mit Neon, blass
und durchsichtig werden. Ihm fällt ein Tierfilm an, der gestern
ausgestrahlt wurde, und das ist vielleicht wie Vogelspinnen,
die ihre Außenhaut und ihre inneren Organe abstülpen, und sich
ohne die langen filzigen Beinhaare weiterschleppen, das natürliche
Verpackungsmaterial bleibt auf dem Gras liegen, eine leere Spinne,
ein Vakuum ohne Seele, die von krabbelnden Insekten aufgefressen
wird. Ein Kreislauf der Natur, also der natürliche Kreislauf,
aber Tiere kaufen sich keine Nagelpflegesets mit feinen Chrystalinen
oder elektrische Hand-Schuhputzer oder Vibrasonic-Maulwurffallen,
das gehört zum Konsumkreislauf, ein Teufelskreisverkehr, in
dessen Mitte das goldene Kalb und an den Rändern wechselnde
Werbetafeln stehen, jetzt stellt er sich vor, wie es wäre, wenn
Tiere intelligent -ob das der richtige Ausdruck ist, ist fraglich,
murmelt er, intelligent wie Menschen jedenfalls, ich nenne es
mal intelligent, weil es sich eingefahren hat, in den Stimmbändern,
wenn Tiere also intelligent wären, ob sie dann auch Außenthermometer
für ihre Hundehütten oder Mehrzwecktaschenmesser gegen klebrige
Spinnenfäden kaufen würden ? Statt über die eigene Schleimspur
zu kriechen, mit dem Bus fahren und vielleicht würden ihnen
auch Münder wachsen, alle Mäuler verwandelten sich auch in Münder,
aus denen dann Spucke gegen die Scheibe sprüht, wenn sie über
ihre kranken Mütter und kranken Depressionen sprechen würden,
und ich müßte noch mehr zuhören als jetzt, jetzt nickt er, nicken
kann er, und Barmänner und Psychotherapeuten würden mehr verdienen,
und Tierpornos wären legal und überall zu haben, die Kirche
würde sich auch freuen können, weil alle Schäfchen zum Hirten
kommen. Das sind sie ja schließlich gewohnt. Oder Igel, denkt
er, weil sein Fuß gerade auf die Bremse steht, die könnten endlich
BMW verklagen, und die Tiergerichte würden darüber entscheiden,
vielleicht kriminelle Orang-Utangs in die Zoos sperren, wäre
was, was bleiben würde, von allem würde sich das nicht verändern
müssen, im Gegensatz zu Hochzeiten, Ehefrauen könnten sagen:
Mein Mann ist ein Esel oder ein Schwein, und was eigentlich
heute schon stimmt, wäre dann selbstverständlich und kein Problem
mehr, es zu sagen, und die Frauen würden sich freuen, weil man
ihnen abnimmt, ohne sie schief oder entsetzt anzusehen, wenn
sie vom Faultier oder wilden Stier zuhause reden. Dumme Gänse
und Kühe gäbe es dann auch, also auch was dabei für Männer,
aber das könnte zu weit gehen, denn dann reden alle noch mehr
und noch lauter, weil sie sich sonst nicht mehr verstehen, sie
würden alle schreien und grunzen und heulen und schnattern,
und am Ende sind wir alle taub von unserem eigenen Geschrei,
und dann wird es still, so still, wie es ist, wenn er den Bus
abends leer am Busbahnhof abliefert.
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