Nokturne
Die Schlaflosigkeit
liegt seit einer Woche jede Nacht neben mir im Bett und ich
starre durch sie hindurch auf die grüne Digitalanzeige des Videorecorders.
Er ist auf stand-by geschalten, die Balken für das Audiosignal
pumpen hoch, ein Strich, 2, 2, 1, und wenn ich auf dem Bauch
liege, spüre ich meinen Hertzschlag in die Matratze hineinklopfen,
simultan zu den isolierten Impulsen des Kabelfernsehens, die
quer durch das Zimmer laufen und am Antenneneingang des Recorders
hineinfluten. Welle hinter Welle hinter Welle. Ich rauche mit
ausgesperrten Augen zwei Packungen hinereinander weg, Dutchfucker
auf Schlafentzug.Gehe in die Küche, trinke literweise Leitungswasser,
das in großen Schlucken durch mich durchfällt. Das Fenster im
Bad ist aus Milchglas, wenn man hinausblickt, sieht man nur
den durch zackige Prismen gebrochene Widerschein der Strassenlaterne
vorm Haus, die die ganze Nacht brennt, ein brennendes Neonkruzifix,
eine Heiligenvision für Blasenschwache, oder eine Marienerscheinung
für Einsame, die die Kloschüssel umarmen und dabei Schnaps trinken,
damit sich endlich mal die Welt nur um sie dreht. Bei jeder
Bewegung, die man mit dem Körper macht, wachsen und schrumpfen
die Lichtfeuerstrahlen, als wären sie lebendig und würden dich
beobachten und dir folgen, wenn du im Stehen pisst und dir die
Hände wäschst. Die Wandohr in der Küche, der metallicblaue Plastikrahmen
(rund) ist billigstes Aluminium-Imitat, ein hohler breiter Klangkörper,
ein zweiter neben deinem Kopf, der das Sekundenticken verstärkt.
Das Ticken ist nicht gleichmäßig, das erste Tack klingt lauter
als das zweite, und lauter dazu. T a c k -klack. Tack-klack,
wie ein alter grauer Mann, der sich auf eine Krücke mit bleifuß
stützt und das linke Bein hinterherzieht und ständig um dich
und den Tisch herumgeht, 24h am Tag, 1440 min, 86400 Sekundenschritte.
Ich bin kein alter Mann, alte Menschen brauchen wenig Schlaf,
ich nicht, und es hilft auch nicht, wenn ich die Rolläden hinter
den Vorhängen herunterlasse und das Zimmer komplett abgedunkelt
ist, damit sich Traumbilder auf meiner Netzhaut entwickeln können.
Früher hatte ich mal eine Schlafposition, auf dem Rücken liegend,
die Hände bibeltreu gefaltet über der Bettdecke und das rechte
Bein angewinkelt, eine 1 m 90 cm große 4, und nur so konnte
ich einschlafen. Funktioniert auch nicht mehr. Als wäre der
Garantieschein dafür seit einer Woche abgelaufen oder die sleep-Testversion
funktionslos. Der Schlaf ist mein Power-off-Knopf, der sich
irgendwo verklemmt hat, und der sonst meinen Kopf und meinen
Körper für mindestens 8h vom Netz nimmt. Jetzt bin ich seit
acht Tagen auf stand-by. Warte darauf, dass meine Augenlider
versteinern, meine Ohren den sozialistischen Arbeitshammer zur
Seite legen und die Trommelfelle zur Reinigung bringen, und
meine Muskeln in Katalepsie fallen, vielleicht wurde ja der
Sandmann entlassen und hockt in einer Kneipe ohne seinen Kies,
oder er hat die Zahnfee getroffen und ist mit ihr in den Flitterwochen
und hat dafür den ganzen Bestand an Schlafsand verkauft, mit
dem jetzt irgendwo künstliche japanische Wellness-Strände gebaut
werden, keine Ahnung.
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