Somnambulanz
- Der Schlaf
ist nur die Vorbereitung auf den Tod, flüsterst Du, als dein
kompakter Reisewecker mit den eingravierten Zeitzonen von Melbourne
bis Los Angeles, ein Geschäftsgeschenk einer schwäbischen Zahnradfabrik,
deren Niederlassungen sich wie ein kriechender Tumor in der
ganzen Welt ausbreiten, vollgepfercht mit Plastik-Miles-and-more-Besitzern
und Filofax-Schreibern, penetrant zu piepen beginnt und dich
aus dem Knockout des Lebens, dem Schlaf mit seiner ganzen schweren
Faulheit und Einsamkeit an die Zuschauer erinnert, die sich
ihre Krawatten beim Küchentischcappuccino anlegen und auf diese
professionelle Art Zeitungen halten und lesen, die dich dabei
sehen wollen, wie du duschst, dir die Zähne mit der Dr.Best
Zahnbürste pflegst, dich dann glattrasierst, so glatt, dass
sich die Ursuppe des Berufslebens an keinem einzigen Häärchen
verfangen kann. Ich stelle den müllabfuhrorangenen Schalter
auf Sleep, ein ebenso automatischer Griff wie das utopische
Stellen der Digitalanzeige gestern.
- Komm raus,
Gott will Dich arbeiten sehen, schreien die Kichenglocken, -
wir wissen, wo du wohnst, und die zuklappenden Familienkombitüren
klatschen Beifall. - Ich bewundere die Menschen, die nach einem
halben Jahr stark verwest in ihrer 9m² großen Wohnung gefunden
werden, sage ich den runtergelassenen Rollläden, in desen zusammengekniffenen
Hartplastikaugen das Tageslicht brutal seinen Weg hineinfräßt,
- wieso schließt ihr nicht richtig ? Nehmt euch ein Beispiel.
Dein Bettlaken
ist dein Betlager, und das Phoenixnest, in dem du jede Nacht
verbrennst und stirbst und am nächsten Morgen zwischen den Aschenbechern
erwachst.
Ich bewundere
den plötzlichen Krippentod und den Atombombenangriff, der unbemerkt
hinter geschlossenen Lidern gestartet wird. Du fragst dich wieso
die Anzahl von Geräten zunimmt, die einem die Uhrzeit angeben
und Mülleimer immer kleiner und farbiger werden und geordnet
vor den Häusern stehen müssen, und wie es wohl war, als einen
die Sonne erst geweckt hat, wenn sie durch den Höhleneingang
fiel, und wie der Kerl heißt, der meinte, irgendetwas daran
ändern zu müssen. Wahrscheinlich pflanzen solche wie er einem
kurz nach der Geburt das schlechte Gewissen ein, spezielle Penatencreme-Mischung
für Frischbabies, versetzt mit dem brennenden Gedanken, dass
dies der Startpunkt ist, sich schon mal langsam Gedanken über
Faltenvorsorge und Markenautos zu machen.
Der Himmel
hängt voll mit unsichtbaren Nylonschnüren, deren Haken sich
getarnt als Zukunftspiercings in die fleisch- und tuchgewordene
Psyche reingehackt haben und ihre Opfer von Ort zu Ort ziehen,
in Eine-Welt-Läden, über Vernissagen, Weihnachtsmärkte, durch
Therapeutenzimmer und Manager-Survivalkursen schleifen, ausgeworfen
von der Angst, die glänzendsten Früchte eines Tages nie richtig
pflücken zu können, egal ob sie mit Homoziden verseucht sind
oder nicht.
Mein Haken
hängt in meinem Genick, und ich warte auf den harten Zug, der
die Wirbel mit einem Knacken wie durchgetretene kleine Äste
zum Brechen bringt, aber die Gewichte sind zu gut verteilt,
als dass ein Ruck sich großartig auswirken würde, eine ausgeklügelte
Physik, die dahinter steckt, manche Menschen nehmen Rasierklingen
und schneiden die Schnur durch, kurz über dem Handgelenk, zwischen
wurmförmigen Sehnensträngen und seichtblauen Adern.
- Nehmt
euch ein Beispiel, sage ich meinen Handgelenken, die unter der
Bettdecke den kleinen, leichten Tod simulieren.
Ich sage
das, und sie gehorchen nicht, weil auch sie ein Teil einer Masse
sind, die von sich behauptet, kein Teil einer Masse zu sein.
- Ihr seid
unterernährte Parasiten auf der Suche nach einem neuen Wirt,
ihr seid der Krieg unter meinen Fingernägeln, ihr seid die überlange
Tamponwerbung in meinem Lieblingsfilm, verfluche ich sie.
- Entscheide
dich. Was denn jetzt ?, kichern sie zurück.
Menschen
schlucken in ihrem Leben dutzende von Spinnen, die in den feuchtwarmen
geöffneten Schlafmund kriechen, warum wohnen keine hochgiftige
Arten unter meinem Bett ?
- Mach endlich
die Augen auf, da draußen gibt es Menschen, die dich sehen wollen
und müssen, sagt die übersteigerte Selbstsicht durchs Kopfkissen
hindurch und schiebt Diaportraits in Kontaktlinsenform von lächelnden
Mündern auf deine Augäpfel, und nun klingelt das Telefon laut
und fordert deine Füße zum Tanzen auf, es ist sicher extrem
wichtig, klingelt es. Wichtigwichtig.wichtigwichtig. WICHTIG!
WICHTIG!
Ich warte
auf Telefone mit künstlicher Intelligenz, die einen an den Hörer
bitten, rufen, befehlen, zwingen, weil sie mit dir sprechen
können und dem Anrufer erklären, dass du gerade im Bett liegst
und deinen faulen Arsch nicht hochkriegst. Ich werde mir dann
eines kaufen und foltern, meine eigene Nummer wählen und dann
Oropax in meine Hörmuscheln stecken und mich neben den Telefontisch
setzen, und darauf warten, dass sich das Telefon heißer und
heiser geschrien hat, so heiß, dass es innerlich verglüht und
die eigenen Schaltkreise wegschmelzen und rauchen, so dass es
bettelt und heult und fleht und verzweifelt von selbst kapitulieren
und auflegen will, aber dafür ist es nicht programmiert, der
Anruf muss weitergegeben werden, dafür birgt die Herstellerfirma
mit aufwendigen, hologrammeingebetteten Zertifikaten zwischen
dem recyclebaren Verpackungsschaumstoff, mit dem kompletten
Rücknahmeservice, Erstattungspaket und - als Entschädigung -
einer persönlichen handschriftlichen Entschuldigung des Firmenleiters.
Das alles erklärt dir ein auf Frauenstimme getrimmter Computer,
wenn du ihre Hotline anrufst.
- Wenn du
erwachsen bist und schläfst wie ein Erwachsener, musst du auch
wie ein Erwachsener aufstehen und erwachen, das haben die Innenarchitekten
dieser Wohnung zwischen die kleinen Gipsnoppen an der Decke
eingearbeitet, mit polymorpher Schrift, die sich verändert,
wenn du kurz blinzelst oder auf das pulsierende Infrarotlicht
des Sony-Fernsehers starrst und monotonisierst: - Sie werden
jetzt müde und schwer.
Müde und
schwer.
Um mich
herum strecken die Holzbohlen müde die Arme aus und schmatzen,
als sie die ersten Frühstücksschuhe verzehren, Kühlschränke
räuspern sich wach, und dunkle Eisengedärme hinter den
flüsternden Wänden fangen an zu furzen und zu gluckern.
M ü d e
u n d s c h w e r .
Wo war ich
stehengeblieben? An der Stelle, an der ich Bruce Willis auf
ein neuerbautes Hochhaus am Eröffnungstag verfolge, und er hat
gelbe Eimer in der Hand, randvoll mit Plastiksprengstoff, den
er auf der Aussichtsplattform zünden wird, und ich bin der einzige,
der ihn daran hindern könnte.
- Wer will
Kaffee ?
- Ich, grinst
Bruce und sitzt in meiner Küche mit den anderen und erzählt,
dass er noch unbedingt diese Präsentation für den Kongress machen
muss, für seine Karriere wäre das unabdingbar, und fragt, ob
er mich wecken soll.
Müde und
schwer.
Wenn du's
durchhalten kannst, diesen Sturzflug durch die Stratosphäre
und alles unter Kontrolle kriegst, bis die letzte Wohnungstüre
das letzte Mal ins Schloss gefallen ist, erst wenn der letzte
Mülleimer abgeholt, die letzten Autos auf der Schnellstraße
vor der Stadt im Stau stehen und das Berufspendel nicht mehr
schwingt, erst wenn der letzte Radiowecker zum Schweigen gebracht
wurde, erst wenn der letzte Bus zur Arbeit fünf Stationen weiter
ist und das letzte Schulkinderlachen in Beton gepfercht ist,
erst dann werdet ihr erkennen, dass Aufstehen der Tod ist und
dein Bett die Gralsburg.
- Das solltest
du auf Aufkleber drucken lassen und in der Fußgängerzone verteilen,
wenn du hundert machen lässt, kriegst du 20 Kopien gratis, hat
mir der Mann im Copyshop erzählt, sagt Bruce Willis und lächelt
und winkt mit einem Hochglanzprospekt, und genau in diesem Lächeln
steckt plötzlich deine Faust, müde und schwer, und er rutscht
aus und fällt aus dem 102. Stockwerk nach unten auf einen braungebrannten
Höhlenmenschen, der auf einem tragbaren Fernseher Dauerwerbesendungen
ansieht und dabei mit seinem Handy telefoniert, welches piept
und immer noch piept, als ein einziger Pudding aus Fleisch und
Blut und gesplitterten Knochen den Gehweg verstopft, und das
Piepen wird schneller und lauter.
Morgens
bist du nicht ansprechbar.
Wirst du
nie sein.
Tote schlafen
fest.
Der Phoenix
träumt nur und stirbt dabei.
Dann wacht
er wieder auf, zwischen Aschenbechern und dem verwesenden Geschmack
der letzten Nacht auf der Zunge.
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