Leitpunkte zum Telefongespräch mit Suizidalen

1. Nimm jeden Selbsttötungshinweis am Telefon ernst!

2. Ein Lebensmüder am Telefon hängt noch am Leben, sonst hätte er nicht angerufen.

3. Suizidales Verhalten ist häufig ein (letzter) Versuch, mit einem Mitmenschen zu reden, und sei er noch so anonym.

4. Suizidale Äußerungen müssen aktives Zuhören auslösen.

5. Suizidenten sehen häufig schwarz/weiß. Sie erwarten daher in den meisten Fällen eine eindeutige Kommunikationsstruktur (z. B. Vater – Kind).

6. Die gefährlichen Höhepunkte einer suizidalen Krise dauern nur wenige Stunden. Befürchte nicht, daß Du Dir zuviel vergibst, wenn Du Dich (als Letzter) ausnutzen läßt.

7. Wenn Du selbst mit Deinen suizidalen Gedanken und Wünschen im Reinen bist, dann kannst Du angstfrei mit den suizidalen Bestrebungen des anderen umgehen.

8. Zeige Angst um den anderen, aber keine Angst vor den Worten und Vorhaben des anderen.

9. Vermeide ängstliche, wohlgemeinte Umschreibungen. Sage statt „Suizid" „Du willst Dich umbringen" oder statt „Tabletten nehmen" „Du willst Dich vergiften".

10. Suizidale Anrufer schwanken ambivalent zwischen Leben und Tod. Verdeutliche diese Ambivalenz und verstärke sie, so daß der andere sich noch einmal beide Alternativen überlegen muß.

11. Versuche, den anderen beim Vornamen zu nennen, das schafft die erste persönliche Beziehung.

12. Wer sich das Leben nehmen will, hat ein Recht darauf, Dir mit persönlichen Forderungen und ungereimten Gedanken auf die Nerven zu fallen.

13. Überlasse dem anderen die Art, in der er mit Dir sprechen möchte. Ist er sachlich, sei Du sachlich; ist er technisch, sei Du technisch, und ist er weich, sei Du auch weich.

14. Laß Dich nicht in seine Hoffnungslosigkeit hineinziehen, sondern hinterfrage sie durch vorsichtige Modifikation seiner Behauptungen.

15. Vermeide direkte Warum-Fragen, die den anderen in die Ecke drängen.

16. Versuche, den anderen zu Mini-Aktionen anzuregen. „Wir müssen lange miteinander sprechen, wollen Sie nicht etwas zu trinken (rauchen, sitzen) ans Telefon holen?"

17. Versuche, den anderen auf ihm noch wichtige Personen anzusprechen. Falls er wirklich keine hat, biete Dich als solche an.

18. Versuche zu ergründen, welche der fünf wichtigsten Lebensbereiche (Selbst, Arbeit, soziale Beziehungen, Religion und Liebe, Sex, Partnerschaft) noch am ehesten Auftrieb verleihen können.

19. Rege den anderen an, Phantasien über seine Zukunft zu entwickeln, aber nimm ihm diese Arbeit nicht ab.

20. Laß Dich nicht von logischen Schlußfolgerungen überzeugen wie „darum muß ich mich umbringen". Wandle sie um in „deshalb könnten Sie sich (in absehbarer Zeit, unter bestimmten Umständen, wenn die und jene Möglichkeiten nicht mehr offen stehen) vergiften".

21. Stelle nur zwei bis drei direkte Fragen (Vorname, Suizidmittel).

22. Frage indirekt nach Wohngegend, Arbeitsstelle, Arbeitskollegen usw., aber nur wenn Du die Adresse herausfinden mußt.

23. Sage dem anderen, wie gut Du es gefunden hast, mit ihm zu sprechen.

24. Versuche, eine Abmachung zu erreichen, daß der andere, bevor er sich umbringt, noch einmal Dich anruft – und erst, nachdem er die von ihm vorgeschlagenen Alternativen ausprobiert hat.

25. Habe keine Angst davor, daß sich manche Menschen ihr letztes menschliches Recht nehmen, auf das auch Du – zumindest in Gedanken – wohl nicht verzichten möchtest.